Corona – sich im Abschied auf Zeit üben

Unser gesamtes Leben ist gezeichnet von Verlusten. Oft sind wir uns dessen nicht bewusst, manchmal wollen wir auf dieses Thema auch gar nicht genauer hinsehen. Dabei birgt Verlust viel Entwicklungspotential in sich.

In Zeiten von Corona wird vieles, was noch vor ein paar Wochen selbstverständlich war, als Verlust erlebt. Es geht uns tatsächlich gerade so manches verloren, was wir als selbstverständlich erachtet haben. Die meisten Läden bleiben geschlossen, Friseure, Cafe´s, Bekleidungsgeschäfte etc. Sich aus Lust und Laune neu einzukleiden, im Buchladen zu stöbern, mit Freunden Kaffee trinken, Veranstaltungen zu besuchen, das alles ist nun nicht mehr möglich. Was übrig bleibt, ist die Option des Konsums. Über den Onlinehandel. Aber das macht viel weniger Laune, als spontan zu sein – und vor allem fehlt die Interaktion. Zudem bedeutet online etwas zu erwerben, zu warten, bis die Ware ankommt, auch das mag Unlust hervorrufen. Wir sind es nicht mehr gewohnt, zu warten, etwas zu erwarten, in dieser schnelllebigen, leistungsorientierten Gesellschaft.

Verreisen geht gerade überhaupt nicht mehr. Wir dürfen nicht mehr die besuchen, die uns wichtig und lieb sind, denen wir uns verbunden fühlen. Die Spontanität, unsere Freiheit, unsere Mobilität und unsere Autonomie – all das ist uns ein Stück weit verloren gegangen.

Möglicherweise haben wir in Zeiten von Corona den Bezug zur Zeit verloren, ob Montag oder Sonntag ist, ist einerlei. Ein Tag ähnelt dem anderen. Wir leben also gerade stark im Moment. Das ist eine Chance! Wenn wir innehalten, in uns hinein spüren, können wir vielleicht entdecken, dass diese Entschleunigung uns gut tut, dass wir beginnen, umzudenken, weil sich jetzt ein Raum auf tut, der von Ruhe und Stille geprägt ist, der uns innehalten lässt. Solch ein Innehalten kann Gedanken und Gefühle zu Tage fördern, von deren Vorhandensein wir vorher nichts wussten.

Verlust kann Lust machen, Lust auszumisten, auch das ist ein Abschied. Sich von alten Dingen zu trennen, die Raum für Neues zulassen, sich von Menschen trennen, die uns nicht gut tun, sich von Gewohnheiten trennen, die uns in unserer Entwicklung bremsen. Verlust ist nicht nur Abschied, sondern Neubeginn und macht Lust auf Entfaltung. In Corona Zeiten werden möglicherweise alte Leidenschaften, Hobbies und Interessen wieder lebendig, wir entdecken neue Talente oder fördern die alten erneut, die Vorfreude darf blühen, wir können uns fragen, was wir uns wünschen, wenn die Corona-Pandemie vorbei ist und wieder Alltag einkehrt. In unseren Wünschen und Phantasien steckt vielerlei verborgen, was tief in uns schlummert und sich gerade jetzt frei entfalten darf, wenn wir es nur zulassen.

Wir verzichten derzeit gerade auf vieles. Wir sind sozusagen aus dem Takt gekommen. Das erzeugt Irritation, das erzeugt Ängste. Doch wir sind die KomponistInnen unseres Lebens, also fangen wir an, es neu zu kreieren.

Der Alltag wird anders sein als früher. Nach Corona. Weil wir die Zeit möglicherweise genützt haben, um innezuhalten und uns klar zu werden, was für uns wirklich bedeutsam ist.

Psychotherapie Weilguny, 9.4.2020